Die Heidelberger Disputation

Bruder Martin Luther, Magister der heiligen Theologie, wird den Vorsitz führen,
Bruder Leonhard Beyer, Magister der schönen Künste und der Philosophie,
wird antworten vor den Augustinern der weitberühmten Stadt Heidelberg
am gewohnten Ort, am 26. April 1518.
     

    THESEN AUS DER THEOLOGIE

    Aufs höchste mißtrauisch gegen uns selbst nach des Heiligen Geistes Rat: »Verlaß dich nicht auf deinen Verstand« (Spr 3,5), legen wir dem Urteil aller, die dabeisein wollen, in Demut diese theologischen Paradoxa vor, damit offenbar werden möchte, ob sie zu Recht oder zu Unrecht dem göttlichen Paulus, dem erwählten Gefäß und Werkzeug Christi und weiterhin St. Augustinus, seinem treuesten Ausleger, entnommen sind.

    Das Gesetz Gottes, die heilsamste Lehre des Lebens, kann den Menschen nicht zur Gerechtigkeit bringen; es ist ihm vielmehr ein Hindernis auf dem Wege dazu.

    Noch viel weniger bringen Menschenwerke das fertig, und würden sie gleich mit Hilfe der natürlichen Eingebung - wie man sagt - immer von neuem wiederholt.

    Die Werke der Menschen, wenn sie auch noch so sehr in die Augen fallen und gut zu sein scheinen, müssen doch als Todsünden gelten.

    Die Werke Gottes, wenn sie gleich nicht in die Augen fallen und schlecht zu sein scheinen, sind in Wahrheit doch unsterbliche Verdienste.

    Nicht in dem Sinne sind die Werke der Menschen Todsünden - wir reden von denen, die als gute erscheinen -, daß sie Verbrechen wären.

    Nicht in dem Sinne sind die Werke Gottes Verdienste - wir reden von denen, die durch einen Menschen getan werden -, daß sie nicht immer zugleich auch Sünde wären.

    Die Werke der Gerechten wären Todsünden, würden sie nicht in frommer Gottesfurcht von den Gerechten als Todsünden gefürchtet.

    Noch viel mehr sind die Werke der Menschen Todsünden, wenn sie ohne Furcht in unverfälschter und böser Selbstsicherheit getan werden.

    Zu erklären, daß die Werke ohne Christus zwar tot seien, aber keine Todsünden, scheint mir eine gefährliche Preisgabe der Gottesfurcht.

    Es ist wahrlich schwer zu verstehen, wie denn solch ein Werk tot sein soll und dennoch keine schädliche Todsünde.

    Der Vermessenheit kann man nur da entgehen, und wahre Hoffnung kann allein da sein, wo man bei einem jeglichen Werk Furcht hat vor dem Gericht der Verdammnis.

    Dann sind die Sünden vor Gott wirklich läßliche Sünden, wenn sie von den Menschen als Todsünden gefürchtet werden.

    Der freie Wille nach dem Sündenfall ist nur noch eine Bezeichnung, und wenn er tut, soviel ihm möglich ist, tut er Todsünde.

    Der freie Wille nach dem Sündenfall hat Macht zum Guten nur nach seiner ursprünglichen Bestimmung, zum Bösen aber jederzeit eine tatsächliche.

    Aber auch im Stande der Unschuld kann er nicht tatsächlich, sondern nur seiner ursprünglichen Bestimmung nach bestehen, geschweige denn, daß er im Guten Fortschritte machen kann.

    Der Mensch, der da meint, er wolle dadurch zur Gnade gelangen, daß er tut, soviel ihm möglich ist, häuft Sünde auf Sünde, so daß er doppelt schuldig wird.

    So reden, das heißt nicht, dem Menschen Anlaß zur Verzweiflung geben, sondern ihn zur Demut rufen, damit er die Gnade Christi suche.

    Ganz gewiß muß ein Mensch an sich selbst verzweifeln, um für den Empfang der Gnade Christi bereitet zu werden.

    Der ist es nicht wert, ein Theologe genannt zu werden, der Gottes »unsichtbares« Wesen »durch seine Werke erkennt und versteht« (Röm 1,20; vgl. 1.Kor 1,21-25),

    aber der, der das, was von Gottes Wesen sichtbar und der Welt zugewandt ist, als in Leiden und Kreuz sichtbar gemacht begreift.

    Der Theologe der Herrlichkeit nennt das Schlechte gut und das Gute schlecht. Der Theologe des Kreuzes nennt die Dinge, wie sie wirklich sind.

    Jene Weisheit, die Gottes unsichtbares Wesen in den Werken erkennt und schaut, bläht auf, macht blind und verstockt.

    Und »das Gesetz wirkt den Zorn« Gottes (Röm 4,15), es tötet, verflucht, klagt an, richtet und verdammt alles, was nicht in Christus ist.

    Nun ist wohl jene Weisheit nicht an sich schlecht, und das Gesetz ist nicht zu fliehen; aber der Mensch mißbraucht ohne die Theologie des Kreuzes das Beste zum Schlimmsten.

    Nicht der ist gerecht, der viele Werke tut, sondern wer ohne Werke viel an Christus glaubt.

    Das Gesetz sagt: »Tue das!«, und es geschieht niemals. Die Gnade spricht: »An den sollst du glauben!«, und alles ist schon getan.

    Mit Recht könnte man Christi Werk wirkend (operans) nennen und das unsere gewirkt (operatum) und somit sagen, daß dank des wirkenden Werkes das gewirkte Werk Gott gefällt.

    Die Liebe Gottes findet nicht vor, sondern schafft sich, was sie liebt. Die Liebe des Menschen entsteht nur an dem, was sie liebenswert findet.

     

    BEWEISFÜHRUNG DER THESEN

    die im Heidelberger Ordenskapitel im Jahre unseres Heils 1518 disputiert worden sind

    Das Gesetz Gottes, die heilsamste Lehre des Lebens, kann den Menschen nicht zur Gerechtigkeit bringen; es ist ihm vielmehr ein Hindernis auf dem Wege dazu.

    Aus den Worten des Apostels, Röm 3,21: »Ohne das Gesetz ist die Gerechtigkeit Gottes offenbart«, geht das klar hervor. Das legt St. Augustinus in seiner Schrift vom Geist und Buchstaben so dar: »Ohne das Gesetz, d.h. ohne sein Zutun!« Und Röm 5,20 heißt es: »Das Gesetz aber ist neben eingekommen, damit die Sünde mächtiger würde«, und Röm 7,9: »Da aber das Gesetz kam, ward die Sünde wieder lebendig.« Deshalb nennt Paulus Kap 8,2 das Gesetz »ein Gesetz des Todes« und »ein Gesetz der Sünde«, ja 2.Kor 3,6 sagt er: »Der Buchstabe tötet«, was St. Augustinus in seinem Buch ›Vom Geist und Buchstaben‹ durchweg von jedem Gesetz versteht, auch vom Gesetz Gottes, das doch das heiligste ist.

    Noch viel weniger bringen Menschenwerke das fertig, und würden sie gleich mit Hilfe der natürlichen Eingebung - wie man sagt - immer von neuem wiederholt.

    Da schon das heilige und unbefleckte Gesetz Gottes, das wahre und gerechte, das dem Menschen zur Hilfe von Gott gegeben ist, um ihn über seine natürlichen Kräfte hinaus zu erleuchten und zum Guten zu bewegen, dennoch das Gegenteil erreicht, so daß er viel schlechter wird, wie kann er dann, seinen eigenen Kräften überlassen, ohne solche Hilfe zum Guten gebracht werden? Wenn er mit fremder Hilfe nicht das Gute tut, tut er es noch weniger aus eigener Kraft. Daher sagt der Apostel Röm 3,10ff, die Menschen seien verderbt und unnütz, weder erkennen sie Gott, noch suchen sie ihn, sondern wenden sich von ihm ab.

    Die Werke der Menschen, wenn sie auch noch so sehr in die Augen fallen und gut zu sein scheinen, müssen doch als Todsünden gelten.

    Die Werke der Menschen glänzen nach außen, aber innen sind sie verdorben, wie Christus Mt 23,27 von den Pharisäern sagt. Ihnen und anderen erscheinen sie gut und schön, aber Gott richtet nicht nach dem Schein, sondern »prüft Nieren und Herz« (Ps 7,10), da es doch ohne Gnade und Glauben unmöglich ist, ein reines Herz zu haben; Apg 15,9: »Er reinigte ihre Herzen durch den Glauben.«

    Daher gilt also: Wenn die Werke der gerechten Menschen Sünde sind, wie These 7 sagt, wieviel mehr sind es die Werke der noch nicht gerechten. Die Gerechten aber sagen (Ps 143,2) von ihren eigenen Werken: »Gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht, Herr, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht.« Ebenso sagt der Apostel Gal 3,10: »Die mit des Gesetzes Werken umgehen, sind unter dem Fluch.« Die Werke der Menschen sind aber Werke des Gesetzes und der Fluch wird nicht auf läßliche Sünden gelegt; also sind sie Todsünden. Und drittens in Röm 2,21: »Du lehrst, man solle nicht stehlen und stiehlst«, was St. Augustinus so auslegt: Freilich sind sie nach ihrem schuldhaften Wollen selbst Diebe, wenngleich sie nach außen urteilen und lehren, andere seien Diebe.

    Die Werke Gottes, wenn sie gleich nicht in die Augen fallen und schlecht zu sein scheinen, sind in Wahrheit doch unsterbliche Verdienste.

    Daß die Werke Gottes unansehnlich sind, offenbart Jes 53,2: »Er hat keine Gestalt noch Schöne« und 1.Sam 2,6: »Der Herr tötet und macht lebendig, führt in die Hölle und wieder heraus.« Das wird so verstanden: Der Herr demütigt und erschreckt uns durch das Gesetz und den Anblick unserer Sünde, daß wir uns vor den Menschen und vor uns selbst wie nichts, wie ganz ohne Ansehen vorkommen, ja es wirklich sind. Wenn wir das erkennen und uns dazu bekennen, so haben wir »keine Gestalt noch Schöne«, leben aber in der Verborgenheit Gottes, d.h. in bloßem Vertrauen auf seine Barmherzigkeit und können uns in uns selbst auf nichts berufen als auf Sünde, Torheit, Tod und Hölle, wie der Apostel 2.Kor 6,9f sagt: »Als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Sterbenden, und siehe, wir leben« (vgl. Kol 3,3). Das ist es, was Jes 28,21 Gottes »fremdes Werk« nennt: »damit sein Werk an uns geschehe«; d.h. er demütigt uns in uns selbst und läßt uns verzweifeln, um uns in seiner Barmherzigkeit zu erheben und uns zu Hoffenden zu machen, wie es Hab 3,2 heißt: »Wenn du zürnen wirst, wirst du deiner Barmherzigkeit gedenken.« Ein solcher Mensch mißfällt sich also in allen seinen Werken, sieht an sich keine Schönheit, sondern nur seine Unansehnlichkeit. Ja, er tut auch, von außen gesehen, was anderen unverständig und ungeschickt erscheint.

    Solche Unansehnlichkeit entsteht aber in uns, wenn Gott uns züchtigt oder vielmehr wenn wir uns selbst anklagen, wie 1.  Kor 11,31 sagt: »Wenn wir uns selber richteten, so würden wir nicht gerichtet vom Herrn.« Das ist es, was 5.Mose 32,36 meint: »Der Herr wird sein Volk richten, und über seine Knechte wird er sich erbarmen.« So sind also die Werke ohne jedes Ansehen, die Gott in uns wirkt, d.h. die in Demut und Furcht vollbrachten, wahrhaft unsterblich; denn Demut und Gottesfurcht sind unser ganzes Verdienst.

    Nicht in dem Sinne sind die Werke der Menschen Todsünden - wir reden von denen, die als gute erscheinen -, daß sie Verbrechen wären.

    Verbrechen nämlich sind Taten, die man auch vor Menschen verklagen kann, wie Ehebruch, Diebstahl, Totschlag, üble Nachrede usw. Aber Todsünden sind Verbrechen, die als gut erscheinen und dennoch inwendig aus einer schlechten Wurzel kommen und Früchte eines schlechten Baumes sind, wie Augustinus in seinem 4. Buch gegen Julianus schreibt.

    Nicht in dem Sinne sind die Werke Gottes Verdienste - wir reden von denen, die durch einen Menschen getan werden -, daß sie nicht immer zugleich auch Sünde wären.

    Der Prediger Salomon (7,20) sagt: »Es ist kein Mensch so gerecht auf Erden, daß er Gutes tut und nicht sündigt.« Hier aber sagen andere: Ein Gerechter sündigt zwar, aber nicht, wenn er Gutes tut. Denen ist zu antworten: Wenn der Prediger dieses sagen wollte, warum verschwendet er seine Worte? Oder hat der Heilige Geist Freude am Wortschwall, am Geschwätz? Denn eine solche Ansicht wäre übergenug ausgedrückt mit den Worten: »Es ist kein Mensch so gerecht auf Erden, daß er nicht sündigt«; wozu fügt er nun »daß er Gutes tut« bei? Als ob ein anderer gerecht wäre, der Schlechtes tut, denn nur ein Gerechter handelt gut. Wo er aber von der Sünde außer den guten Werken spricht, sagt er so: »Siebenmal täglich fällt der Gerechte« (Spr 24,16). Hier sagt er nicht: Siebenmal täglich fällt der Gerechte, wenn er Gutes tut. Dazu ein Gleichnis: Wenn einer mit einem rostigen und schartigen Beil zuschlägt, so macht sein Beil, mag er selbst als Handwerker noch so geschickt sein, doch schlechte, holprige und rauhe Schnitte. So auch Gott, der durch uns wirkt.

    Die Werke der Gerechten wären Todsünden, würden sie nicht in frommer Gottesfurcht von den Gerechten als Todsünden gefürchtet.

    Das geht erstens klar aus der 4. These hervor. Denn sein Vertrauen auf ein Werk setzen, bei dem man sich eigentlich fürchten müßte, heißt sich selber die Ehre geben und sie Gott nehmen, den man bei jedem Werk fürchten muß. Das aber ist eine völlige Verkehrtheit, wenn man sich selbst gefällt, sich selbst in seinen Werken genießt und sich wie einen Götzen anbetet. So macht es jeder, der selbstsicher und ohne Gottesfurcht ist. Wenn er sich nämlich fürchtete, wäre er nicht selbstsicher und hätte kein Gefallen an sich, sondern gefiele sich nur in Gott.

    Zweitens wird es klar aus Ps 143,2: »Gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht« und Ps 32,5: »Ich sprach: Ich will dem Herrn meine Übertretungen bekennen.« Daß dies aber nicht läßliche Sünden sind, deckt deren Argument auf: Für läßliche Sünden braucht man keine Buße noch Beichte. Wenn es also Todsünden sind und »alle Heiligen dafür beten«, wie es hier (Ps 32,6) heißt, dann sind also die Werke der Heiligen Todsünden. Die Werke der Heiligen aber sind gute Werke; also sind sie für sie nur verdienstlich durch ihr demütiges und gottesfürchtiges Bekenntnis.

    Drittens aus dem Gebet des Herrn: »Vergib uns unsere Schuld« (Mt 6,12). Das ist ein Gebet der Heiligen; also sind die Schulden, für die sie beten, ihre guten Werke. Daß diese aber Todsünden sind, geht aus dem folgenden hervor: »Wo ihr den Menschen ihre Fehler nicht vergebt, da wird euch euer Vater eure Fehler auch nicht vergeben« (Mt 6,15). Siehe, solche Sünden sind es also, die sie ohne Vergebung in Verdammnis brächten, wenn sie nicht aufrichtig dieses Gebet beteten und anderen vergeben würden.

    Viertens nach Offb 21,27: »Nichts Unreines wird ins Himmelreich eingehen«. Daher ist alles, was den Eingang ins Himmelreich hindert, Todsünde - oder man müßte den Begriff »Todsünde« anders bestimmen. Auch die läßliche Sünde hindert dies, denn sie befleckt die Seele, und kann im Himmelreich nicht bestehen, also ... (ist sie ebenfalls Todsünde).

    Noch viel mehr sind die Werke der Menschen Todsünden, wenn sie ohne Furcht in unverfälschter und böser Selbstsicherheit getan werden.

    Das ergibt sich mit Notwendigkeit aus dem Vorangehenden. Denn wo keine Furcht ist, da ist keine Demut; wo keine Demut ist, da ist Hochmut und da sind Zorn und Gericht Gottes. »Gott nämlich widerstehet den Hochmütigen« (1. Petr 5,5). Ja, wiche nur der Hochmut! Nirgends würde noch Sünde sein!

    Zu erklären, daß die Werke ohne Christus zwar tot seien, aber keine Todsünden, scheint mir eine gefährliche Preisgabe der Gottesfurcht.

    Denn damit werden die Menschen selbstsicher und dadurch hochmütig, was gefährlich ist. So nimmt man nämlich Gott dauernd die ihm schuldige Ehre und gibt sie sich selbst, obgleich man doch mit ganzem Eifer sich beeilen müßte, ihm je schneller, desto besser seine Ehre zu geben. So rät auch die Heilige Schrift: »Darum zögere nicht, dich zum Herrn zu bekehren« (Sir 5,8). Wenn ihn schon der beleidigt, der ihm die Ehre entzieht, um wieviel mehr der, der dies fortwährend in (völliger) Selbstsicherheit tut. Aber wer nicht in Christus ist oder von ihm weicht, entzieht ihm die Ehre, wie da geschrieben steht.

    Es ist wahrlich schwer zu verstehen, wie denn solch ein Werk tot sein soll und dennoch keine schädliche Todsünde.

    Zum Beweis: Die Schrift spricht nicht so vom Tod, daß etwas, was doch tot ist, nicht tödlich sei; ja auch die Grammatik nicht, die »tot« als Steigerung zu »tödlich« bezeichnet. Ein tödliches Werk nennt man ein Werk, das tötet. »Tot« aber ist nicht ein Werk, das abgestorben ist, sondern eines, das von vornherein nicht lebendig war. Aber ein solches nicht lebendiges Werk mißfällt Gott, wie es in den Sprüchen Salomonis 15,8 heißt: »Der Gottlosen Opfer ist dem Herrn ein Greuel.«

    Zweitens: Überhaupt wirkt der Wille auf jedes solche tote Werk irgendwie ein, sei es in Liebe oder in Haß; hassen kann er es nicht, weil er böse ist. Also liebt er, als liebte er das Tote. Und er bringt in sich eine böse Willenshandlung gegen Gott hervor, den er in ihr wie in allem Tun lieben und ehren müßte.

    Der Vermessenheit kann man nur da entgehen und wahre Hoffnung kann allein da sein, wo man bei einem jeglichen Werk Furcht hat vor dem Gericht der Verdammnis.

    Das geht aus der 4. These hervor. Es ist unmöglich, auf Gott zu hoffen, ohne an allem Geschaffenen zu verzweifeln und zu wissen, daß einem nichts nützen kann außer Gott. Da es aber niemanden gibt, der, wie wir oben sagten, eine solche reine Hoffnung hat, und wir uns doch etwas auf das Geschaffene verlassen (vgl. Röm 1,25), so ist es klar, daß wegen solcher Unreinheit in allen Dingen Gottes Gericht zu fürchten ist. Und so soll Vermessenheit nicht nur beim Tun, sondern auch schon beim Verlangen vermieden werden, d.h., es muß uns mißfallen, fernerhin im Vertrauen auf das Geschaffene zu bleiben.

    Dann sind die Sünden vor Gott wirklich läßliche Sünden, wenn sie von den Menschen als Todsünden gefürchtet werden.

    Das geht genugsam aus dem Gesagten hervor. Soweit wir uns anklagen, soweit entschuldigt uns Gott. Nach dem Worte: »Bekenne deine Missetat, damit du gerechtfertigt wirst« (vgl. Jes 43,26) und jenem, wo es heißt: »Daß doch mein Herz sich nicht den Worten des Bösen neige, um Entschuldigungen zu finden für die Sünden« (Ps 141,4).

    Der freie Wille nach dem Sündenfall ist nur noch eine Bezeichnung, und wenn er tut, soviel ihm möglich ist, tut er Todsünde.

    Das erste ist klar: der Wille ist ein Gefangener und ein Sklave der Sünde. Nicht, daß er nichts ist, sondern daß er nur frei ist zum Bösen! Joh 8,34 und 36: »Wer Sünde tut, ist der Sünde Knecht«, »Wenn euch der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei.« Darum sagt auch St. Augustinus in seinem Buch ›Vom Geist und Buchstaben‹: »Der freie Wille ohne die Gnade hat nur Macht zum Sündigen« und im 2. Buch gegen Julianus: »Frei nennt ihr ihn, aber ein Geknechteter ist er.« Und so noch an unzähligen anderen Stellen.

    Das zweite geht aus dem oben Gesagten hervor und aus Hos 13,9: »Israel, du bringst dich in Unglück; denn dein Heil steht allein bei mir.«

    Der freie Wille nach dem Sündenfall hat Macht zum Guten nur nach seiner ursprünglichen Bestimmung, zum Bösen aber jederzeit eine tatsächliche.

    Dazu ein Gleichnis: Im Tod hat ein Mensch zum Leben nur seiner ursprünglichen Bestimmung (in vitam solum subiective) nach ein Verhältnis, während er lebt, aber zum Tod ein tatsächliches. Der freie Wille (zum Guten) dagegen ist tot; dafür sind die Toten ein Gleichnis, die der Herr erweckte, wie schon die heiligen Kirchenlehrer sagen. St. Augustinus beweist diese These an mehreren Stellen in seinen Schriften gegen die Pelagianer.

    Aber auch im Stand der Unschuld kann er nicht tatsächlich, sondern nur seiner ursprünglichen Bestimmung (subiectiva potentia) nach bestehen, geschweige denn, daß er im Guten Fortschritte machen kann.

    Der Meister der Sentenzen (Petrus Lombardus) sagt im 2. Buch, Abschnitt 24, Kap. 1 unter Berufung auf St. Augustinus am Schluß folgendes: »Durch diese Zeugnisse ist zwingend erwiesen, daß der Mensch ein rechtes Wesen und einen guten Willen bei der Schöpfung empfing und eine Hilfe erfuhr, durch die er hätte bestehen können. Sonst könnte es scheinen, daß er nicht durch seine eigene Schuld gefallen sei.« Er spricht hier von dem tatsächlichen Vermögen (potentia activa), was offenkundig gegen die Anschauung von Augustinus ist, der in seiner Schrift ›Von der Zurechtweisung und der Gnade‹ folgendes sagt: »Er hatte das Können empfangen, sofern er wollte, aber er hat das Wollen nicht gehabt, wodurch er konnte«, wobei er unter dem »Können« eine ursprüngliche Bestimmung (potentia subiectiva), unter dem »Wollen, durch das er konnte«, aber eine tatsächliche wirksame Kraft (potentia activa) versteht.

    Der zweite Teil (der These) aber ist vom Meister hinlänglich erklärt in der gleichen Gegenüberstellung.

    Der Mensch, der da meint, er wolle dadurch zur Gnade gelangen, daß er tut, soviel ihm möglich ist, häuft Sünde auf Sünde, so daß er doppelt schuldig wird.

    Aus dem Gesagten ist klar: Wenn er tut, soviel ihm möglich ist, sündigt er und sucht allenthalben das Seine. Aber wenn er meint, daß er durch die Sünde der Gnade würdig oder für sie geeignet werde, fügt er schon hochmütige Vermessenheit hinzu und hält die Sünde nicht für Sünde, das Böse nicht für Böses, was eine ganz große Sünde ist. So heißt es Jer 2,13: »Eine zweifache Sünde tut mein Volk: mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und graben sich löcherige Brunnen, die doch kein Wasser halten.« Das heißt, durch die Sünde sind sie ganz weit weg von mir und maßen sich dennoch an, aus sich heraus Gutes tun zu können.

    Du sprichst nun: Was sollen wir denn tun? Sollen wir müßiggehen, weil wir nichts als Sünde tun können? Ich antworte: Nein, sondern höre auf diese Worte und dann falle nieder und bitte um Gnade und setze deine ganze Hoffnung auf Christus; in ihm ist unser Heil und Leben und unsere Auferstehung. Denn darum werden wir so belehrt, darum macht uns das Gesetz mit der Sünde bekannt, damit wir unsere Sünde erkennen und dann Gnade erbitten und erlangen. So, ja so »gibt er dem Demütigen Gnade« (1. Petr 5,5) und »wer sich erniedrigt, der wird erhöht werden« (Mt 23,12). Das Gesetz erniedrigt, die Gnade erhöht. Das Gesetz schafft Furcht und Zorn, die Gnade Hoffnung und Erbarmen. Durch das Gesetz nämlich erhält man Sündenerkenntnis, durch Erkenntnis der Sünde aber erlangt man Demut, und durch die Demut Gnade. So führt Gottes fremdes Werk (opus alienum dei) schließlich sein eigentliches Werk (opus proprium) herbei, indem er den Menschen zum Sünder macht, um ihn gerecht zu machen.

    So reden, das heißt nicht, dem Menschen Anlaß zur Verzweiflung geben, sondern ihn zur Demut rufen, damit er die Gnade Christi suche.

    Das ist aus dem Gesagten klar. Denn nach dem Evangelium ist das Himmelreich den Kindern und den Demütigen gegeben, und sie liebt Christus (vgl. Mk 10,14). Demütig können aber nicht die sein, die nicht einsehen, daß sie verdammungswürdige Sünder sind mit Sünden, die zum Himmel schreien. Sünde aber wird nicht erkannt außer durch das Gesetz. Klar ist, daß nicht die Verzweiflung, sondern vielmehr die Hoffnung gepredigt wird, wo gepredigt wird, daß wir Sünder sind. Solche Predigt der Sünde oder vielmehr die Erkenntnis der Sünde und der Glaube an solche Predigt ist Bereitung zur Gnade. Dann nämlich beginnt das Verlangen nach Gnade, wenn die Sündenerkenntnis da ist. Dann erst, wenn er das Übel seiner Krankheit begreift, verlangt der Kranke nach Medikamenten. Wie es daher nicht eine Ursache zur Verzweiflung oder zum Tode mit sich bringt, wenn dem Kranken die Gefahr gesagt wird, die seine Krankheit birgt, sondern er vielmehr ermutigt wird, die Medikamente zu verlangen, so ist das Bekennen, daß wir nichts sind und immer sündigen, wenn wir tun, was uns möglich ist, nicht ein Verzweifeltmachen - wir müßten denn ohne Verstand sein! -, sondern bedeutet, uns zum Verlangen nach der Gnade unseres Herrn Jesu Christi in Bewegung zu bringen.

    Ganz gewiß muß ein Mensch an sich selbst verzweifeln, um für den Empfang der Gnade Christi bereitet zu werden.

    Das will nämlich das Gesetz, daß ein Mensch an sich selbst verzweifle, darum »führt es ihn in die Hölle« (1.Sam 2,6) und »macht ihn arm« (1 Sam 2,7) und erweist ihn in allen seinen Werken als Sünder, wie der Apostel in Röm 2 und 3,9 tut, indem er spricht: »Wir sind überführt, daß wir alle unter der Sünde sind.« Wer aber tut, was möglich ist, und glaubt, daß er damit etwas Gutes schafft, der kommt sich durchaus nicht als ein Nichts vor und verzweifelt nicht an seinen Kräften. Vielmehr ist er darin noch anmaßend, daß er sich für die Erlangung der Gnade auf seine Fähigkeiten verläßt.

    Der ist es nicht wert, ein Theologe genannt zu werden, der Gottes »unsichtbares« Wesen »durch seine Werke erkennt und versteht« (Röm 1,20).

    Das wird an denen klar, die solche »Theologen« waren und doch vom Apostel Röm 1,22 »unverständig« genannt werden. Das unsichtbare Wesen Gottes ist seine Kraft, seine Gottheit, seine Weisheit, Gerechtigkeit, Güte u.ä. Die Erkenntnis alles dessen macht nicht würdig und weise.

    Aber der (verdient ein rechter Theologe genannt zu werden), der das, was von Gottes Wesen sichtbar und der Welt zugewandt ist, als in Leiden und Kreuz sichtbar gemacht begreift.

    Das uns zugewandte, sichtbare Wesen Gottes - d.h. seine Menschlichkeit, Schwachheit, Torheit - ist dem unsichtbaren entgegengesetzt, wie 1.Kor 1,25 von der göttlichen Schwachheit und Torheit sagt. Weil die Menschen nämlich die Erkenntnis Gottes aufgrund seiner Werke mißbrauchten, wollte nun Gott aus dem Leiden erkannt werden. Er wollte solche »Weisheit des Unsichtbaren« durch eine »Weisheit des Sichtbaren« verwerfen, damit die, die Gott nicht verehrten, wie er in seinen Werken offenbar wird, ihn verehren als den, der in den Leiden verborgen ist (absconditum in passionibus), wie es 1.Kor 1,21 heißt: »Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch törichte Predigt selig zu machen die, die daran glauben.« So reicht es für niemand aus, Gott in seiner Herrlichkeit und Majestät zu erkennen, wenn er ihn nicht in der Niedrigkeit und Schmach seines Kreuzes erkennt. So »macht er die Weisheit der Weisen zuschanden« (1.Kor 1,19), wie Jesaja weiter sagt: »Fürwahr, du bist ein verborgener Gott« (Jes 45,15).

    So auch Joh 14,8: Als Philippus in der Art der Theologie der Herrlichkeit sprach »Zeige mir den Vater«, holte Christus ihn gleich zurück und konzentrierte seine Gedanken, die abschweiften, anderswo Gott zu suchen, auf sich zurück und sprach: »Philippus, wer mich sieht, sieht auch meinen Vater« (Joh 14,9). In Christus dem Gekreuzigten also ist die wahre Theologie und Gotteserkenntnis, wie es auch Joh 14,6 und 10,9 bestätigen: »Niemand kommt zum Vater denn durch mich«; »Ich bin die Tür« usw.

    Der Theologe der Herrlichkeit nennt das Schlechte gut und das Gute schlecht. Der Theologe des Kreuzes nennt die Dinge, wie sie wirklich sind.

    Das ist klar. Weil er doch Christus nicht kennt, kennt er auch nicht den im Leiden verborgenen Gott. Daher zieht er die Werke dem Leiden, die Herrlichkeit dem Kreuze, die Kraft der Schwachheit, die Weisheit der Torheit und überhaupt das Gute dem Schlechten vor. Das sind die, die der Apostel »Feinde des Kreuzes Christi« (Phil 3,18) nennt. Jedenfalls hassen sie das Kreuz und die Leiden. Sie lieben aber die Werke und ihren Ruhm, und so nennen sie das Gute des Kreuzes schlecht und das Schädliche des Werkes gut. Gott kann aber nur in Kreuz und Leiden gefunden werden, wie schon gesagt. Darum nennen die Freunde des Kreuzes das Kreuz gut und die Werke schlecht, weil durch das Kreuz die Werke niedergerissen werden und der lieber durch die Werke aufgerichtete »alte Adam« gekreuzigt wird. Es ist nämlich dem unmöglich, auf Grund seiner »guten Werke« nicht aufgeblasen zu werden, der vorher nicht durch Leiden und Schaden ganz leer und niedrig geworden ist, bis zu der Erkenntnis, daß man selbst nichts ist und die Werke nicht uns sondern Gott gehören.

    Jene Weisheit, die Gottes unsichtbares Wesen in den Werken erkennt und schaut, bläht auf, macht blind und verstockt.

    Das ist schon gesagt. Denn weil sie das Kreuz nicht kennen und es hassen, müssen sie notwendig das Gegenteil lieben, d.h. Weisheit, Ruhm, Macht u.ä. So werden sie durch solche Liebe noch mehr verblendet und verstockt. Unmöglich ist es nämlich, daß ihre Gier durch Erfüllung der Wünsche gestillt wird; denn wie die Liebe zum Geld im gleichen Maße wie das Geld selbst wächst, so ist es auch mit der Sucht des Menschen nach Wasser. Je mehr er trinkt, um so mehr dürstet ihn, wie der Dichter sagt: »Je mehr sie getränkt werden, um so mehr dürsten sie nach Wasser«, und der Prediger (Pred 1,8): »Das Auge sieht sich nimmer satt, und das Ohr hört sich nimmer satt.« So ist es aber bei allen Begierden.

    Daher wird auch die Wißbegierde durch die Weisheit, die man erlangt, nicht befriedigt, sondern noch mehr entzündet. So wird die Ehrsucht nicht durch Erlangen der Ehre, die Herrschsucht nicht durch Macht und Herrschaft, die Ruhmsucht nicht durch erlangten Ruhm gestillt usw., wie Christus Joh 4,13 bezeichnenderweise sagt: »Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten.«

    Es bleibt also nur ein Heilmittel: heil werden nicht durch Stillen der Begierde, sondern durch Auslöschen. Das heißt, wenn jemand weise werden will, so soll er nicht im Vorgriff, sondern im Rückgriff nach Weisheit trachten und im Verlangen nach »Torheit« einfältig werden. Ebenso soll, wer reich an Macht und Ruhm und an Lust und an allen Dingen satt werden will, Macht, Ruhm, Lust und Befriedigung in allen Dingen eher fliehen als suchen. Das ist die Weisheit, die der Welt eine Torheit ist.

    Und »das Gesetz wirkt den Zorn« Gottes (Röm 4,15), es tötet, verflucht, klagt an, richtet und verdammt alles, was nicht in Christus ist.

    So an die Galater (Gal 3,13): »Christus hat uns erlöst von dem Fluche des Gesetzes«, und ebendort: »Die mit des Gesetzes Werken umgehen, sind unter dem Fluch« (Gal 3,10), und Röm 4,15: »Das Gesetz richtet Zorn an«, und Röm 7,10: »Es fand sich, daß das Gebot mir zum Tode gereichte«, und Röm 2,12: »Die unter dem Gesetz gesündigt haben, die werden durch das Gesetz verurteilt werden.« Wer sich also als ein Weiser und Gelehrter im Gesetz rühmt, der rühmt sich seiner Schande, seines Fluches, des Zornes Gottes, des Todes, wie es Röm 2,23 heißt: »Was rühmst du dich des Gesetzes?«

    Nun ist wohl jene Weisheit nicht an sich schlecht, und das Gesetz ist nicht zu fliehen; aber der Mensch mißbraucht ohne die Theologie des Kreuzes das Beste zum Schlimmsten.

    Denn »das Gesetz ist heilig« (Röm 7,12), und »alle Gabe Gottes ist gut« (1.Tim 4,4; Jak 1,17), »alles Geschaffene ist sehr gut« (1.Mose 1,31). Aber wie schon oben gesagt, wer noch nicht erniedrigt und durch Kreuz und Leiden zu einem Nichts gemacht ist, der schreibt Werke und Weisheit sich zu, nicht aber Gott und mißbraucht so die Gaben Gottes und besudelt sie.

    Wer aber durch Leiden von seinem ichsüchtigen Selbst befreit wurde, der schafft nicht mehr selber, sondern weiß, daß Gott in ihm alles wirkt und schafft. Ob er nun wirkt oder nicht, ist für ihn dasselbe: er rühmt sich nicht, wenn Gott in ihm wirkt, er schämt sich nicht, wenn er es nicht tut; er weiß, es ist ihm genug, wenn er durch das Kreuz leidet und vernichtet wird, damit er um so mehr zum Nichts werde. Das ist, was Christus in Joh 3,7 sagt: »Ihr müßt von neuem geboren werden.« Um wiedergeboren zu werden, muß man vorher sterben und mit dem Menschensohn erhöht werden: ich sage sterben, d.h. den Tod als gegenwärtig empfinden.

    Nicht der ist gerecht, der viel Werke tut, sondern wer ohne Werke viel an Christus glaubt.

    Denn die Gerechtigkeit Gottes wird nicht aufgrund aneinandergereihter Handlungen erworben, wie Aristoteles lehrt, sondern durch den Glauben geschenkt. »Der Gerechte lebt aus seinem Glauben«, Röm 1,17 und Röm 10,10: »Wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht.« Daher will ich das »ohne Werke« so verstanden wissen: Nicht daß der Gerechte nichts wirke, sondern daß seine Werke ihm keine Gerechtigkeit verschaffen. Vielmehr schafft seine Gerechtigkeit Werke. Ohne unser Zutun nämlich werden Gnade und Glaube eingegossen, und alsbald folgen dann die Werke. So heißt es Röm 3,20: »Kein Fleisch vermag durch des Gesetzes Werke, vor Gott gerecht zu sein«, und Röm 3,28: »So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben«, d.h. zur Gerechtigkeit machen die Werke nichts.

    Von jetzt an weiß, wer aus solchem Glauben handelt, daß solche Werke nicht ihm, sondern Gott gehören. Deswegen sucht er durch sie nicht gerechtfertigt oder verherrlicht zu werden, vielmehr sucht er Gott selbst. Seine Gerechtigkeit im Glauben an Christus genügt ihm, d.h. Christus ist seine Weisheit, Gerechtigkeit usw., wie es 1.Kor 1,30 heißt. Er selbst aber ist Christi Wirken oder Werkzeug (operatio seu instrumentum).

    Das Gesetz sagt: »Tue das!«, und es geschieht niemals. Die Gnade spricht: »An den sollst du glauben!«, und alles ist schon getan.

    Der erste Satz ist durch den Apostel und seinen Ausleger Augustinus an vielen Orten klar erwiesen, und es ist oben genugsam dargelegt, daß das »Gesetz« viel eher »Zorn bewirkt« und alle unter dem Fluch hält. Auf gleiche Weise ist der zweite Satz klar, daß nämlich der Glaube rechtfertigt. Das Gesetz befiehlt, wie Augustinus sagt, was der Glaube erwirbt. So ist jedenfalls Christus durch den Glauben in uns, ja mit uns eins. Christus aber ist der, der gerecht ist und alle Gebote Gottes erfüllt. Darum erfüllen auch wir durch ihn alles, wenn er durch den Glauben unser geworden ist.

    Mit Recht könnte man Christi Werk wirkend (operans) nennen und das unsere gewirkt (operatum) und somit sagen, daß dank des wirkenden Werkes das gewirkte Werk Gott gefällt.

    Sobald Christus durch den Glauben in uns wohnt, bewegt er uns zu Werken durch jenen lebendigen Glauben an seine Werke. Die Werke nämlich, die er selbst tut, sind die Erfüllung von Gottes Geboten und werden uns durch den Glauben geschenkt. Schauen wir sie an, so werden wir zur Nachfolge bewegt. Deswegen sagt der Apostel: »So seid nun Gottes Nachfolger als seine lieben Kinder« (Eph 5,1). Daher entzünden sich Werke der Barmherzigkeit an seinen Werken, durch die er uns erlöste, wie St. Gregor sagt: »Jede Tat Christi ist uns eine Lehre, nein, ein Antrieb.« Wenn sie in uns wirksam ist, so ist sie in uns durch den Glauben lebendig, gewaltig nämlich lockt sie uns. Auch im Hohen Lied heißt es: »Ziehe mich dir nach! Wir laufen dem Geruch deiner Salben nach«, d.h. deiner Werke (vgl. Hld 1,3f).

    Die Liebe Gottes findet nicht vor, sondern schafft sich, was sie liebt. Die Liebe des Menschen entsteht nur an dem, was sie liebenswert findet.

    Das zweite ist klar und Gemeingut aller Theologen und Philosophen. Das Gegenüber (objectum) ist der Grund der Liebe, indem man nach Aristoteles alles Vermögen der Seele als passiv annimmt, als Stoff, als nur im Aufnehmen tätig, wodurch er selbst bezeugt, daß seine Philosophie gegen die Theologie ist, weil sie in allem das Ihre sucht und mehr das Gute nimmt als gibt. Das erste ist klar, weil die Liebe Gottes - sofern im Menschen lebendig - liebt, was sündig, schlecht, töricht und schwach ist, um es gerecht, gut, weise und stark zu machen, und so viel mehr sich verströmt und Gutes schafft. Darum nämlich, weil sie geliebt werden, sind die Sünder »schön«, nicht aber werden sie geliebt, weil sie »schön« sind. Menschliche Liebe flieht daher die Sünder und Bösen, Christus jedoch sagt: »Ich bin nicht gekommen, die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder« (Mt 9,13). Solcher Art ist die Liebe des Kreuzes, geboren aus dem Kreuz, daß sie sich nicht dorthin wendet, wo sie das Gute findet, um es zu genießen, sondern dorthin, wo sie das Gute den Armen und Bedürftigen austeilen kann. »Geben ist seliger als nehmen«, sagt der Aposte1 (Apg 20,35). Daher heißt es Ps 41,2: »Wohl dem, der sich des Bedürftigen annimmt!« Der Verstand freilich kann sich natürlicherweise nicht mit dem befassen, was nichts ist, das heißt mit dem Armen und Bedürftigen, sondern nur mit dem, was etwas ist, mit dem Wahren und Guten. Daher urteilt er nach dem Schein und nimmt das Ansehen des Menschen wichtig und urteilt nach dem, was augenscheinlich vorliegt.